U(h)riges mit einer Vier

Unsere Turmuhr kam nach einer geraumen Zeit totaler Ruhe im Jahre 1969 in neue lebendige Bewegung.

Kirchturm mit Dachreiter 1969 und leerem Platz für Zifferlatt 

Das Zifferblatt hatte sich schon lange nach einer Renovierung gesehnt, und das Uhrwerk lauerte nach knapp einhundert Dienstjahren auf eine Generalüberholung.

Die substanzlose Kirchenkasse bot keinerlei Hoffnung auf Abhilfe. Jetzt wurden hier optimistische Energien miteinander vereint, die Uhr aus ihrem Schlaf zu wecken und ihr Gesicht zu erneuern.

Für das Uhrwerk brachte Bodo Menzel  trickreiche Ideen und ungezählte Stunden ein. Und das verkommene Zifferblatt wurde nach und nach aufgearbeitet.

verrostetes Zifferblatt Neubemalung des Zifferblattes in Unterrißdorf

Das schöne Ziel wurde erreicht.  Aber niemand war auf die Idee gekommen, dass die Gestaltung der Vier auf einer Uhr mit römischen Ziffern einen ganz besonderen Hintergrund hat. Wir hatten wie selbstverständlich die korrekte "IV" verwendet.
Nach rund dreißig Jahren wurden wir erstmalig gefragt, wieso wir von der üblichen Weise abgewichen sind, bei Uhren eine vierfache Eins ("IIII") zu gebrauchen.
Es setzte ein vielfacher "Uhrenvergleich" der besonderen Art ein. An den Auslagen der Uhrengeschäfte wurde innegehalten, und auf Fahrten wurden die Kirchtürme mit neuem Interesse in den Blick genommen. Tatsächlich ist immer wieder "IIII" anstatt einer richtigen römischen "IV" zu sehen. Umfragen oder überraschte Blicke auf die Armbanduhr ergeben:  Das fällt normalerweise niemandem auf.
Völlig anders war das bei den alten Römern. Für sie war die "IV" nicht nur eine Zahl. Die Zeichen waren zugleich bestimmte Buchstaben -
in diesem Fall die Kombination von "J" und "U". Sie lasen "JU" stets als die ständig gebrauchte Kurzform ihrer obersten Gottheit "Jupiter". Dieses "Monogramm", die Silbe "JU", genoss so viel Respekt, dass eine Verwendung "nur" als trockene Ziffer in Rechengängen oder Zahlenreihen als Herabwürdigung empfunden wurde. Diese kurzgefasste Darstellung des hochrangigen Götternamens Jupiter war nur Priestern im Rahmen religiöser Zeremonien erlaubt. So benutzte man als Ersatz für die echte Vier einfach vier Einsen, um jeden Missbrauch zu vermeiden und die Götter nur ja nicht zu erzürnen..
Merkwürdig bleibt, dass das Christentum an dieser Schreibweise nichts beanstandete. Sie wurde für die Uhren der vielen Kirchtürme in aller Welt beibehalten.

Zu den erstaunlich wenigen Ausnahmen gehören neben anderen die Zifferblätter des Kreml in Moskau und des Big Ben in London. Und es ist interessant, nach solchen Ausnahmen Ausschau zu halten. "Guck mal dort!"  - hieß es dann auch in Löbejün oder in Börln oder mit Blick zur Decke der Kreuzkirche in Suhl. Die  Entdeckung des Ziffernlattes  an der Kirche Sainte Madeleine in Besancon (Frankreich)  - siehe Foto - stamnmt vom 12.9.2010

Unsere Turmuhr hat im Jahr 2012 umfassende Aufwertung erfahren.  Wir gaben ihr etwas mehr Raum, indem wir die Schmutzschutzwand ein wenig versetzten.  In diese bauten wir ein großes Fenster,  so dass man die Uhr mit ihrem interessanten Werk jetzt  bei ihrer Arbeit beobachten kann. Während sie nur durch einen sparsamen engen Gang zu erreichen war (für groß Gewachsene nur in gebeugter Haltung),  erweiterten wir die Fläche vor dem Uhrengehäuse. Plötzlich entdeckten wir, dass wir dadurch jetzt ein "Uhrenstübchen" haben.
In der Freude an diesem attraktiven "Produkt" bekam auch der helfende Zimmermann Lust am Weitermachen:
Während diese Etage über den Glocken von Anfang an nur über eine Leiter zu erreichen war, ersetzten wir diese durch eine massive Holztreppe, die zum Aufstieg einlädt. Für das Uhrwerk haben wir einen automatischen Aufzug und eine funkgesteuerte Pendelkorrektur anfertigen lassen. Seither schlägt die Glocke zur halben und vollen Stunde in einer nie gekannten Zuverlässigkeit - im Höchstfall 15 Sekunden zu früh.

Bodo Menzel leitete das Schlagwerk an die Uhrenglocke nach unten

.Welche Stunde hat geschlagen? Klicke auf den Hammer!

Pünktlich zum 8.März 2006, zum 80.Geburtstag unseres jahrzehntelangen treuen Weggefährten Bodo Menzel, gelang ein bleibendes Andenken an ihn.  
Er hatte den Hammer 1970 mühevoll von weit oben nach unten verlegt.  Denn den Dachreiter, der die Uhrenglocke trug, hatten wir zu dieser Zeit abreißen müssen.
Im Glockenstuhl fand sich für sie ein freier Platz. Denn die dortige 2.Glocke des Geläuts war den Buntmetall-Raubzügen des 2.Weltkrieges zum Opfer gefallen.
Nun antwortet der Hammer auf einen Mausklick im Originalton, welches die letzte volle Stunde war - zum Mitzählen wie in schlafloser Nacht ...